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Das Buch für historisch und technisch Interessierte: gebunden, Format 21 x 15 cm, 256 Seiten mit zahlreichen Abbildungen, Vierfarbdruck
Dr. Meinhard Münzenberger, Chris Schuth
akadpress GmbH, Essen

Ausgabe 2004
ISBN 3-931384-51-9
€ 18,– im Buchhandel




Dr. Holger Zinn schreibt über das Ingenieurwesen der Region:
Kaum eine Epoche der Geschichte hat so viele rasch aufeinanderfolgende Veränderungen in Wirtschaft und Technik erlebt wie die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts. Besonders betroffen von diesem Wandel waren die Ingenieurberufe, da gerade sie technische Neuerungen hervorbringen und neuestes technisches Know how in der alltäglichen Praxis zum Wohle der Menschen und der Gesellschaft umsetzen.
Besonders deutlich wird diese Entwicklung in Regionen wie dem Rhein-Main-Gebiet, da dessen säkulärer wirtschaftlicher Aufschwung traditionell überwiegend auf Branchen beruht, die stark auf Ingenieurleistung aufbauen. Exemplarisch zu nennen sind hier der Maschinen- und Anlagenbau in Wiesbaden und Mainz, der Fahrzeugbau in und um Rüsselsheim, die chemische Industrie an Rhein und Main, das Baugewerbe, aber auch die Sekt- und Weinherstellung in Rheinhessen und im Rheingau. Ein Blick in die Berufs- und Gewerbestatistik des Kaiserreichs aus dem Jahr 1905, kurz nach Gründung des VDI Rheingau-Bezirksvereins, zeigt dies deutlich.
Für den Rheingau-Bezirksverein des VDI, der den westlichen Teil der Fläche des Rhein-Main-Gebietes abdeckt, gilt diese Ausgangslage damit genauso wie für die Wirtschaftsregion Rhein-Main insgesamt: Einerseits umfaßt er einen Teil des industriellen Kerns, zu nennen sind die Städte Mainz, Wiesbaden und Rüsselsheim, andererseits finden sich im Rheingau-Bezirksverein aber weite Bereiche, in denen der Weinbau und die dazugehörige Industrie dominieren.
Vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis zur Mitte der 50er Jahre
Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs veränderten sich auch die Voraussetzungen für das Wirtschaften auf dem Gebiet des vdi-Bezirksvereins Rheingau. Teils unter französischer, teils unter amerikanischer Besatzung, konnte die Produktion nur unter erschwerten Bedingungen wieder aufgenommen werden: Die Infrastruktur der Region, speziell die Brücken über die beiden großen Flüsse Rhein und Main sowie die Eisenbahnlinien entlang der Flüsse waren zerstört und Rohstoff- und Energielieferungen aufgrund technischer oder administrativer Probleme nicht möglich, wie beispielsweise die Chronik der Gaswerkverbund AG Wiesbaden berichtet. Durch Kriegseinflüsse waren Produktionskapazitäten stillgelegt oder zerstört, wie in Berichten über die Moguntia-Werke Mainz oder über die Seitz-Werke in Bad Kreuznach zu lesen ist. Gleichzeitig war die Arbeitskräftesituation nicht kalkulierbar, da in einzelnen Regionen Arbeitskräfte Mangelware waren, während in anderen ein Arbeitskräfteüberschuß vorhanden war. Zudem waren viele Unternehmen der Region von Demontagen bedroht, was die Wiederaufnahme der Produktion nach 1945 deutlich verzögerte. Hiervon waren besonders der Maschinenbau und die Stahlerzeugung, zu nennen sind exemplarisch die Rheinhütte in Biebrich und die Maschinenfabrik Wiesbaden AG, betroffen. Gleichzeitig war ein wesentliches Standbein der deutschen Industrie, der Außenhandel, vollkommen zusammengebrochen, was sich besonders deutlich im Maschinen- und Anlagenbau, der Elektrotechnik und in der Chemieindustrie bemerkbar machte.
Einen weiteren schweren Rückschlag erlitt der deutsche Wiederaufbau durch den Zusammenbruch des Finanzsektors, da weder vom Inland noch vom Ausland Kapital für dringend notwendige Investitionen bereit gestellt wurde. Die Erneuerung des teilweise stark veralteten Maschinenparks wurde erst kurzfristig mit den Mitteln aus dem Marshall-Plan möglich.
Neben all den negativen Folgen des Zweiten Weltkriegs traten auch Entwicklungen ein, die bis heute positiv auf die Region wirken. Wiesbaden und Mainz wurden Landeshauptstädte und die Region insgesamt bot aufgrund ihrer Voraussetzungen eine gute Basis für Unternehmen, die ihre angestammte Heimat in der sowjetischen Besatzungszone verlassen mußten oder wollten. Sie gaben der Region langfristig wertvolle neue Wachstumsimpulse. Das wohl bekannteste Beispiel hierfür ist die Firma Schott in Mainz, deren Besitzer 1948 in Jena enteignet wurden und 1952 in Mainz den Neuaufbau vollzogen. Auch die Didier-Werke zog es mit ihrer Zentrale von Berlin nach Wiesbaden, wo sie 1951 das neue Didier-Haus eröffnen konnten. Koepp verlagerte seine Produktion aus dem durch Kriegseinwirkungen zerstörten Werk in Mannheim nach Oestrich im Rheingau.
Aus den Resultaten des Zweiten Weltkriegs erwuchsen auch die wichtigsten Aufgaben für die Ingenieurwissenschaften, speziell den Bereich des Bauingenieurwesens. Bis weit in die 50er Jahre stand die Arbeit der Bauingenieure unter den Stichworten Trümmerbeseitigung, Trümmerverwertung und Wiederaufbau und gerade in den Städten, die wie Mainz und Frankfurt stark von den Folgen des Krieges betroffen waren, wurde Schwerstarbeit geleistet (…)